In vielen Unternehmen sehe ich das gleiche Problem: Berichte sind zu umfassend, zu langsam und zu theoretisch. Vorstände und Finanzchefs brauchen keine 50-Seiten-Reports — sie brauchen eine klare tägliche Sicht auf das, was das Unternehmen gerade trägt oder gefährdet. Minimal viable reporting heißt für mich: so wenig wie nötig, so viel wie nötig, jederzeit handlungsfähig.
Warum ein tägliches, minimales Reporting?
Wenn ich Vorstände und CFOs berate, geht es oft um schnelle Entscheidungen unter Unsicherheit. Tägliche Kenngrößen schaffen drei Dinge: Transparenz, Früherkennung und Fokus. Transparenz, weil alle Beteiligten dieselben Zahlen sehen. Früherkennung, weil Abweichungen sofort sichtbar werden. Fokus, weil nur die wirklich relevanten Größen Aufmerksamkeit bekommen — und damit Maßnahmen.
Wie ich die Auswahl treffe
Meine Auswahlkriterien sind pragmatisch:
Die folgenden zehn Kenngrößen erfüllen diese Kriterien und bilden aus meiner Sicht das Minimum, das Vorstand und Finanzchef täglich sehen sollten.
Die 10 täglichen Kenngrößen
| KPI | Was er zeigt | Wie messen | Handlungs-Trigger |
|---|---|---|---|
| 1. Liquide Mittel (Cash Balance) | Aktueller Kontostand aller operativen Bankkonten und kurzfristige Liquiditätsreserven | Bank-Feeds / Cash-Pooling-Systeme; Aktualisierung täglich | Unterschreitung Schwellenwert (z. B. 30 Tage Betriebskosten) |
| 2. Working Capital (Netto) | Veränderung des Betriebskapitals: Forderungen - Verbindlichkeiten - Vorräte | ERP-/Buchhaltungsdaten; Rolling 30-Tage-Vergleich | Signifikanter Anstieg vs Vormonat (z. B. >10%) |
| 3. Tagesumsatz (vs Plan und Vorjahr) | Umsatzentwicklung im Zeitverlauf (absolute Zahl + Abweichung) | POS/Shop-/E-Commerce/CRM-Feeds; automatisierte Aggregation | Abweichung vom Plan >5% über 3 Tage |
| 4. Rohertragsmarge (Gross Margin %) — rolling | Verkaufserlöse minus direkte Kosten, als Prozentsatz | Sales + COGS aus ERP; 7-/30-Tage-Rolling | Fall unter Zielmarge oder negative Trendwoche |
| 5. Forderungslaufzeit (DSO) | Durchschnittliche Tage, bis Kunden zahlen | Buchhaltung/Forderungsmanagement; 30/90-Tage-Analyse | Erhöhung über Zielwert (z. B. >45 Tage) oder zunehmende Ausfälle |
| 6. Auftragseingang / Pipeline (Monatssicht) | Neukundenaufträge + erwartete Abschlüsse in Pipeline | CRM mit Wahrscheinlichkeiten; gewichtete Pipeline | Pipeline reicht nicht für Umsatzziel des nächsten Monats |
| 7. CAPEX vs Budget (YTD) | Investitionsausgaben gegenüber Jahresbudget | Finanzplanung + ERP; kumuliert YTD | Überschreitung Budget oder unerwartete Commitments |
| 8. Personalaufwand / FTE-Kosten | Lohnkosten im Verhältnis zu Umsatz und Budget | Payroll-System; Tages-/Wöchentliche Hochrechnung | Anstieg vs Plan >3% oder Overtime-Spitzen |
| 9. Kunden-Churn oder Retention Rate (rolling) | Kundenabwanderung oder Bindungsrate in relevantem Zeitfenster | CRM & Billing; rolling 30/90 Tage | Anstieg der Abwanderung oder Verlust von Schlüsselkunden |
| 10. Frühwarnindikator Risiko (Lead KPI) | Aggregierter Score aus Lieferengpässen, Forderungsausfällen, IT-Störungen | Scorecard aus operativen Systemen, automatisiert | Score über kritischen Wert → sofortiges Eskalationsprotokoll |
Wie die Darstellung aussehen sollte
Optische Klarheit ist entscheidend. Meine Empfehlung für das tägliche Dashboard:
Tools wie Power BI, Tableau, Klipfolio oder auch maßgeschneiderte Dashboards in modernen ERP-Systemen funktionieren gut; wichtig ist stabile Datenintegration (API/ETL) und geringe Latenz.
Was täglich zu tun ist — konkrete Regeln
Ein KPI ist nur so gut wie die Aktion dahinter. Ich arbeite mit einfachen Regeln:
Wichtig ist ein kurzes Daily-Check-in (max. 15 Minuten) mit Fokus auf Abweichungen — nicht auf Normalbetrieb. Vorstands- und CFO-Meetings werden so nicht länger, sondern fokussierter.
Praxisbeispiele aus Mandaten
In einem mittelständischen Produktionsunternehmen war die Cash-Balance täglich sichtbar — trotzdem gab es wiederkehrende Engpässe durch verlängerte DSO nach Großkundenlieferungen. Wir kombinierten KPI 1 (Cash) und KPI 5 (DSO) mit einem Debitoren-Maßnahmen-Workflow: drei Eskalationsstufen, automatisierte Mahnläufe und Factoring-Optionen. Ergebnis: sichtbare Verbesserung der Liquiditätslage innerhalb sechs Wochen.
Bei einem SaaS-Anbieter hat sich gezeigt, dass Tagesumsatz allein wenig bringt — erst die Kombination mit churn (KPI 9) und Pipeline (KPI 6) ergab das vollständige Bild. Plötzlich wurde klar: Marketing generiert Leads, Sales konvertiert nicht, und technische Onboarding-Probleme treiben Churn. Die tägliche Sicht beschleunigte die Abstimmung zwischen Produkt, Sales und Finance.
Tipps zur Einführung
Ein minimalistisches, tägliches Reporting schafft Handlungsfähigkeit. Es reduziert Informationsrauschen und stellt sicher, dass finanzielle und operative Risiken nicht erst sichtbar werden, wenn sie schon kritisch sind. Das Ziel ist nicht Perfektion — sondern schnelle, richtige Entscheidungen auf Basis sauberer, relevanter Zahlen.